Prof. Monheim: Offener Brief zum Streit über die B27

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Prof. Dr. Heiner Monheim

Sehr geehrter Herr Dr. Gammel,
sehr geehrter Herr Abel,

ich bin ziemlich verwundert, wie und warum Sie mich zum Kronzeugen für die aktuelle Planung der Ortsumfahrung (OU) B27 machen können.

Bei meinen drei Terminen in der morgendlichen Trassenbegehung, des nachmittäglichen Workshops im Gemeindehaus Nehren und beim abendlichen öffentlichen Vortrag im Kino Mössingen habe ich ziemlich genau das Gegenteil betont. Deswegen schreibe ich diesen offenen Brief, der auch an die Presse geht, mit entsprechenden Klarstellungen:

1. Verkehrspolitische Bewertung dieser und der vielen anderen aktuellen OU Planungen

Die klimapolitischen Erfordernisse verbieten ein Fortführen alter Ortsumgehungsplanungen, deren Bedarfsannahmen und Planungsgrundlagen in der Regel 20-30 Jahre alt sind. Damals war von Klimaschutz noch keine Rede und Verkehrswende war ein „Unwort“. Heute spricht alle Welt von Verkehrswende.

Klimagerechte Verkehrspolitik muss alles tun, was zu einer deutlichen Abnahme des Kfz-Personen- und Güterverkehrs auf der Straße führt und alles lassen, was zu einer weiteren Zunahme des Kfz-Verkehrs führt. Der Ausbau einer schnellen, auf weite Strecken vierstreifigen B27 kann zu massiven Kfz-Verkehrszunahmen führen, die dann im weiteren Verlauf der B27 neue Ortsumgehungsplanungen begründen würden. So geht das dann immer weiter. Diese Strategie ist nicht mehr zeitgemäß.

Statt einer solchen Fortführung alter Ausbaustrategien wären die Bundesregierung und alle 16 Landesregierungen gut beraten, ein Moratorium zu verabschieden, das alle nicht mehr klimaschutzkompatiblen Projekte stoppt und statt dessen die Bemühungen um den Ausbau der Verkehrssysteme des klimaschonenden Umweltverbundes aus Fuß- und Radverkehr und ÖPNV/SPNV vervielfacht.

2. Bewertung des akuten Handlungsbedarfs und der kreativen Handlungsoptionen auf der OD der B27

Natürlich erfordern die aktuellen Verhältnisse auf den Ortsdurchfahrten der B27 und so auch der OD in Mössingen/Ofterdingen deutliche Verbesserungen zu Gunsten der Ortslagen. Die massiven Geschwindigkeitsüberschreitungen, vor allem auch in der Nacht, müssen gestoppt werden. Dazu trägt eine lineare Tempo 30 Regelung mit ein paar automatischen Überwachungsanlagen bzw. Tempoanzeigen bei. Das Tempolimit erlaubt dann eine Verschmälerung und bessere Gliederung der Fahrbahn. Die Fuß- und Radverkehrsbedingungen in der Ortsdurchfahrt müssen deutlich verbessert werden. Der öffentliche Raum muß ortsgerecht umgestaltet und insbesondere intensiv begrünt werden, am besten als Allee. Dafür gibt es gute Beispiele. Solche Maßnahmen können sehr kurzfristig begonnen werden. Die Abmessungen der Fahrbahn müssen auf das unbedingt nötige Maß reduziert werden, wobei die Fahrbahn optisch so gegliedert werden kann, dass sie schmäler wirkt, als sie ist. Die Überholmöglichkeiten müssen baulich genommen werden. Dafür kann in der Fahrbahnmitte ein schmaler Streifen aus der Fahrbahn ausgespart werden, in dem in regelmäßigen Abständen Leuchten (im Betonsockel) oder Pflanzkübel mit schell wachsenden Birken oder jedenfalls ein Materialwechsel nach dem Vorbild des Hennefer Modells untergebracht werden. Ein solches Maßnahmepaket hat mehrere Effekte. Es reduziert die Störwirkung des Kfz-Verkehrs (Lärm, Luftschadstoffe), macht die Straße sicherer und schöner und funktionaler. Und erhöht den sog. Verkehrswiderstand, kann also die Kfz-Verkehrsmenge reduzieren.

3. Bewertung der Prognostischen Grundlagen

Die verwendeten Berechnungen auf der Grundlage der Shell-Prognose sind für zukunftssichere Planungen nicht mehr brauchbar. Es werden sich durch Corona, aber auch die Herausforderungen des Klimawandels, deutliche Änderungen der Verkehrsentwicklung einstellen, die weiter verstärkt werden können durch eine adäquate, ausgewogene Verkehrspolitik von Bund, Land, Region und ihren Orten. Die großen Anteile des lokalen und regionalen Kfz-Binnenverkehrs können durch eine moderne Verkehrsentwicklungs- und Nahverkehrsplanung (Orts-, Stadt- und Landbussysteme) sowie Radverkehrsplanung (einschl. Radschnellwege) vermindert werden. Der SPNV-Anteil kann durch die geplante Regionalstadtbahn sowie s-bahnmäßige Modernisierungen der bisherigen Regionalbahnstrecken stark gesteigert werden.

Es ist schon kurios, dass die Entlastungswirkung der Regionalstadtbahn nicht in den Prognosen der B27 Planung berücksichtigt wurde. Vielversprechende Szenarien über die weitere Kfz-Verkehrsentwicklung hat die Baden- Württemberg-Stiftung 2017 in ihrer Studie „Mobiles Baden-Württemberg- Wege der Transformation zu einer nachhaltigen Mobilität“ vorgelegt, wo mit dem Zeithorizont 2030 massive Rückgänge des Kfz-Verkehrs prognostiziert werden. Solche Rückgänge machen den weiteren Ausbau von Ortsumgehungen entbehrlich und erweitern die Chancen für eine ortsgerechte Straßenumgestaltung des klassifizierten Straßennetzes.

4. Tunnel sind keine Option

Offenbar kam die CDU zu der falschen Annahme, ich hätte die B27 Planung verteidigt, weil ich mich bei allen drei Terminen klar gegen eine Tunnellösung ausgesprochen habe. Aber dieses Votum begründete bei mir eine sog. 0-Lösung mit Umgestaltung der OD und Verzicht auf die OU-Trasse. Das haben einige Vertreter der Bürgerinitiativen und Umweltverbände durchaus bedauert, weil sie sich eine Minimierung der Eingriffe durch Tunnel versprochen haben. Diese Vorstellung konntte ich durch Verweis auf andere Tunnelprojekte schnell entkräften. Tunnel sind extrem teuer. Und sie sind nicht wirklich netzfähig, weil unterirdische Knoten und Einmündungen sehr kompliziert und noch mal teurer sind. Ohne Knoten und Einmündungen können Tunnel aber keine Entlastungswirkung im lokalen und regionalen Binnenverkehr bringen. Im Fernverkehr aber reduzieren sie die Reisezeit und forcieren damit das Kfz-Verkehrswachstum.

Da der Straßenetat des Bundes aus Corona- und Klimaschutzgründen massiv gekürzt werden muss, schrumpft ohnehin der Spielraum für Tunnelprojekte. Damit würde jede Verbesserung noch mal um viele Jahre verzögert.

5. Details der Trassenplanung

Mein Eindruck war, dass die Initiativen und Verbände sich sehr fundiert in die Planungsdetails eingearbeitet haben. Die Kritik am Standort des LKW-Parkplatzes (zu nahe zur Wildbrücke) ist völlig berechtigt. Der Vorschlag, wenn überhaupt, einen solchen Parkplatz im nächst gelegenen straßennahen Gewerbegebiet unterzubringen, entspricht gängiger Praxis. Der Vorschlag, einen solchen Standort mit den Fahrgemeinschaftsparkplätzen für Pendler zu kombinieren, ist sinnvoll und flächensparend. Die Kritik an den massiven Landschaftseingriffen wegen der zügigen Trassierung ist gerechtfertigt, ebenso die Kritik an den Hohen Dämmen und Brücken, die durch die Lärmschutzwände massive Probleme für die Flugtierhabitate (Fledermäuse und Vögel) und mit den Brückenstützen massive Probleme für die aquatische Flora und Fauna bewirken.

Typisch für die unausgewogene Planung ist, dass die Um- und Rückbaupläne für die alte OD nicht mitgeliefert werden und es dafür auch kein Finanzierungskonzept gibt.

FAZIT

Für die Orts- und Verkehrsentwicklung sowie Regionalentwicklung ist die vorgelegte B27 Planung nachteilig, die Belange des Klimaschutztes kommen nicht zur Geltung, eine integrierte Verkehrsentwicklungsplanung liegt dem Konzept nicht zu Grunde. Daher ist das Konzept abzulehnen. Die zuständigen Behörden sollten schnellstmöglich einen ortsgerechten Umbau der Ortsdurchfahrt planen und generell im Gesamtverlauf der B27 vergleichbare Projekte mit einem Moratorium anhalten und durch Sofortmaßnahmen für Verbesserungen in den Ortsdurchfahrten ersetzen. Das schafft schnelle Entlastung, vermeidet weitere Zunahmen des Kfz-Verkehrs und setzt Planungskapazitäten für den Ausbau des Umweltverbundes frei.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr H. Monheim

PS. Zu einigen der angesprochenen Themen habe ich Ihnen Anlagen angehängt

Schienenreaktivierung

Der e.V. Schienenverkehr Malente-Lütjenburg kooperiert mit NAH.SH wegen der geplanten Reaktivierung der Strecke Malente-Lütjenburg. Für diese Reaktivierung gibt es ein Stufenkonzept, das als Endziel regulären SPNV vorsieht. Ihr Amtsvorgänger Herr Wewers hat sich mehrfach mit dem Projekt befasst und in Kooperation mit Herrn Kipping haben wir jetzt eine Leistungsbeschreibung für eine Potenzial- und Machbarkeitsstudie entwickelt.

Die beiden hauptbetroffenen Kommunen Stadt Lütjenburg und Gemeinde Malente sind sehr an der Reaktivierung interessiert. Die Stadt Lütjenburg hatte dafür schon 2013 von der DRE (Deutsche Regionaleisenbahn) ein Gutachten erstellen lassen, das ausgehend von dem guten Streckenzustand eine Reaktivierung empfohlen hat. Der e.V. hat sich mit verschiedenen Akteuren des Schienenverkehrs in SH vernetzt.

  • Die NEG will uns bei der Herstellung des Prototyps einer Ultra-Leicht-Solar-Akku-Tram fachlich und mit Zurverfügungstellung ihrer Werkstatthalle unterstützen.
  • Das Schienenkompetenz-Zentrum SH der FH Kiel hat Interesse, diese „Inselstrecke“ als Teststrecke für betriebliche und Fahrzeuginnovationen zu nutzen (digitale BÜ-Sicherung und Betriebssteuerung und Leichtfahrzeuge).Die im Kompetenzzentrum mitwirkenden Firmen sind an einer Kooperation für die Nutzung als Teststrecke interessiert.
  • Die Allianz pro Schiene und der VDV SH wurde gebeten, die Strecke in der Liste der Reaktivierungsstrecken aufzunehmen.
  • Wir kooperieren mit dem Verein Ostholsteinbahn e.V., der für die Reaktivierung der Strecke Ascheberg-Neumünster kämpft. Aktuell findet auf einem kurzen Teilstück dieser Strecke noch Draisinenverkehr statt.
  • Wir sind verbunden mit dem Kulturlokschuppen e.V. in Neumünster, von wo wir künftig für Sonderfahrten geeignete Fahrzeuge bekommen können.

Wir halten das von NAH.SH entwickelte Konzept für die verdichtete Regionalbahnbedienung mit RE/RB 83/84 mit Endhalt in Malente Nord für sehr erfolgversprechend. Damit wäre auch eine erste wertvolle verkehrliche Nutzung des ersten Teilstücks unserer Reaktivierungsstrecke verbunden.

Von bundesweiter Bedeutung ist u.E. das neue ULT-Leichtfahrzeug, eine Weiterentwicklung der sehr erfolgreich auf der Odenwaldbahn fahrenden Solar-Draisinen. Der Konstrukteur Herbert Riemann will ein Fahrzeug mit ca. 30 Plätzen bauen, das als kurzes Niederflurfahrzeug minimale Infrastrukturkosten für Bahnsteige und sehr geringe Fahrzeug- und Betriebskosten verursachen würde und als modernes Elektrofahrzeug ganz neue Perspektiven für Schienenreaktivierungen eröffnet. Unser Endziel ist Taktverkehr, der fahrplanmäßig auf die Hauptstrecke angepasst ist. Voraussetzung ist, dass NAH.SH die entsprechende Verkehrsleistung (nach hoffentlich erfolgreicher Potenzial- und Machbarkeitsanalyse) ausschreibt und wir eine bedienungsbereites Eisenbahnverkehrsunternehmen finden (die NEG läge dafür nahe).

Wir sehen in dieser neuen Generation von Ultraleichtfahrzeugen Potenziale für ländliche Überlandstraßenbahnen, mit denen man die bislang üblichen hohen Infrastruktur- und Betriebskosten normaler dieselbetriebener Regionalbahnen oder elektrischer Stadtbahnen deutlich verringern kann und damit Reaktivierung sehr viel wirtschaftlicher machen kann.

Beide Kommunen sind an einem Kauf der Strecke interessiert. Der jetzige Eigentümer ist mittlerweile auch verkaufsbereit. Allerdings ist der Kaufpreis noch Gegenstand eines Gutachtens beim gemeinsamen Gutachterausschuß der beiden Kreise Plön und Ostholstein. Für das erste Teilstück bis Malente Nord stellt sich ja auch für NAH.SH die Trassenzugangsfrage.

Wir sind auch in Kontakt mit englischen Eisenbahnentwicklern, die zusammen mit der Universität Warwick hochinnovative akku-elektrische Midi- und Minitriebwagen kurz vor dem Roll out haben, die wir dann auch gern auf der Teststrecke erproben würden. Sie sind im Design etwas konventioneller und daher auch teurer, aber von der Grundidee doch vergleichbar. Ihr Mitarbeiter Martin Steffen, der in unsrem e. V. mitarbeitet, hat sich mit diesen Fahrzeugperspektiven intensiver befasst.

Ich verbinde diese Darstellung mit der Hoffnung, dass auch Sie ähnlich wie Ihr Amtsvorgänger das Projekt und damit verbundenen regionale Engagement positiv sehen.

Lokale und regionale Busverkehre

Die regionalen und lokalen Busverkehre sind in SH leider noch nicht sehr attraktiv entwickelt. Das Land braucht für eine Verkehrswende viel mehr lokale Dorf-, Orts- und Stadtbussysteme sowie regionale Landbussysteme, wie sie in der Schweiz, Österreich und Südtirol sehr erfolgreich verkehren. Sie würden den gut entwickelten regionalen Schienenverkehr gut unterstützen. Deswegen sollte aus meiner Sicht NAH.SH sich stärker konzeptionell in diesem Bereich engagieren, mit einer Art landesweitem Rahmenkonzept. In dem die Mengengerüste für die Zahl der Systeme, ihren Fahrzeugbedarf und ihre geteilte lokale und regionale Aufgabenträgerschaft sowie die damit erreichbaren Umstiegseffekte ermittelt werden.

Natürlich gehören dazu entsprechende Fahrzeugkonzepte mit sehr viel größerem Bestand von hoffentlich bald elektrisch und evtl. auch autonom fahrenden Midi- und Minibussen. Und die Zahl der Haltestellen muss deutlich gesteigert werden, im Schnitt um den Faktor 5, gebietsweise auch Faktor 10, um die nötige Kundennähe und Einsparung von langen An- und Abmarschwegen zu ermöglichen.

Der systematische Ausbau solcher feinerschließenden ÖPNV-Systeme erlaubt dann im Zuge einer Netzhierarchisierung auch den Aufbau eigener Plus-BUS oder Schnell-BUS Systeme, weil ein Teil der regionalen Linien von Aufgaben der Feinerschließung frei gestellt wird.

Mit solchen innovativen Bussystemen können die hohen Kfz-Verkehrsanteilen am ländlichen Modal Split deutlich verringert werden. Das erlaubt dann Einsparungen im Straßen- und Parkraumbau, die auch aus Gründen des Klimaschutzes und der Verkehrswende dringend erforderlich sind.

KombiBUS

Leider ist die Verkehrsentwicklung in Deutschland von massiven Zunahmen der kleinteiligen Stückgutverkehre geprägt. Die Bahn macht hier bislang keine adäquaten Angebote und der Bus hat sich schon lange aus der Güterbeförderung verabschiedet. Hier ermöglichen KombiBUS eine Trendwende. Der KombiBUS bietet kombinierten Personen- und Stückgutverkehr. Vorbilder sind Finnland und Schweden und seit 2014 auch der KombiBUS Uckermark. KombiBUS-Angebote können dem ÖPNV zusätzlichen Umsatz ermöglichen und werden von der örtlichen Wirtschaft und den KEP-Diensten gern angenommen, weil die sog. „letzte Meile“ ja immer sehr teuer und aufwändig ist.

Auf diese Weise konnte man in Skandinavien auch in extrem dünn besiedelten Regionen ländlichen ÖPNV-Taktverkehr sichern. Der KombiBus ist vor allem auch für den ländlichen Tourismus und die dortige Hotellerie und Gastronomie ein wichtiges Angebot, weil dann für Fuß-, Wasser- und Fahrradwanderer der Gepäcktransport sichergestellt werden kann und Hotellerie und Gastronomie endlich wieder Interesse an einer eigenen Haltestelle mit ÖPNV-Bedienung haben. Und mit Hilfe des KombiBUS können kleine Lädern gerettet werden, die von Grossisten nicht mehr beliefert werden, ihre Ware aber per KombiBUS taggleich geliefert bekommen.

Ich könnte mir vorstellen, dass NAH.SH dafür ein eigene Konzept entwickelt. Voraussetzung ist, dass die Busnetze endlich ausreichende Systemqualität bekommen, mit planvoll festgelegten Knoten, einem ITF-System und gut gestalteten Umsteigehaltestellen der kurzen Wege. Und dass das Land KombiBUS auch wirklich will und die Kommunalgesetzgebung bezüglich solcher Zusatzgeschäft von ÖPNV-Unternehmen ändert.

Ride Sharing und Bike Sharing, Dienstleistungen für die Mikro-Mobilität

In der deutschen ÖPNV-Debatte stehen meist die Großstädte im Fokus. Der ländliche ÖPNV mobilisiert leider nur geringes politisches Engagement, weil man glaubt, gegen die ubiquitäre Erreichbarkeitsverheißung des privaten Pkw nicht konkurrieren zu können. Daher beschränkt man das ÖPNV Angebot auf das minimale „Pflichtniveau“ des Schülerverkehrs. Man kann aber ländliche und kleinstädtische Verkehrsmärkte leicht in Bewegung bringen mit neuen, kundennahen Orts-, Stadt- und Landbusangeboten, die die jährlichen Fahrgastzahlen vervielfachen, wenn sie mit angepassten Fahrzeuggrößen und größerer Takt-, Netz- und Haltestellendichte arbeiten und das Angebot um Car-Sharing, Bike-Sharing und Ride-Sharing erweitern, als moderne, digital gestützte Mikromobilität. Mikromobilität kann an die lange Tradition ländlicher Mitnahmeverkehre und Selbsthilfelösungen anknüpfen, wie Bürgerauto, Bürgerbus oder nachbarschaftliches Mitnehmen. In SH gibt es zwar schon einige Bürgerbussysteme, allerdings mit sehr eingeschränktem Angebot. Zusätzliche Mikromobilitätsangebote wären zur Stärkung des ÖPNV in der Fläche sehr wichtig. Für ländliches Ridesharing braucht man regionale und lokale Plattformen für das Angebots- und Nachfragematching und entsprechenden Regularien für die Registrierung von Anbietern und Nachfragern. Für ländliches Bike-Sharing gibt es gute Beispiele aus Tourismusregionen, die meist von Nextbike aufgebaut wurden, z.B. das Usedomrad und das Niederrheinrad. Manche kommunale Fahrradverleihsystem werden mit ÖPNV-Beteiligung etabliert, wie das Mainrad oder KVB Rad oder MVG Rad. Öffentliche Bike-Sharingsysteme in der konzeptionellen Regie von NAH.SH wären eine wichtige Angebotsergänzung. Für die Dimensionierung bietet die Zahl der bestehenden und künftig geplanten Haltestellen einen geeigneten Rahmen, wenn man unterstellt, dass Haltestellen die „geborenen „ intermodalen Verknüpfungsstellen sind. Das Konzept der Mobilpunkte kann da nahtlos angeschlossen werden, mit einer etwas größeren Dimensionierung an wichtigen Knotenhaltestellen.

NAH.SH hat sich in den letzten Jahren im Bereich der Bike + Ride- Anlagen bereits engagiert. Aber beim Thema Radstationen (also servicebasierter Abstellanlagen mit Überwachung) hinkt SH deutlich hinterher. Dabei ist der Umsteiger in Kiel eine sehr sehenswerte Anlage mit intelligentem Betriebskonzept. Und klarer ÖPNV/SPNV-Zuordnung. Ich habe 1994 in NRW als eine meiner letzten Amsthandlungen im Verkehrsministerium das Programm „100 Radstationen“ zusammen mit dem ADFC und einer eigenen Planungsargentur auf den Weg gebracht. Ähnliches würde ich mir auch für SH wünschen.

Betriebliches Mobilitätsmanagement (BMM)

Bislang wird betriebliches Mobilitätsmanagement in ländlichen Regionen leider stark vernachlässigt. Auch hier greift wieder das Vorurteil, so was sei in ausgesprochen autoaffinen Regionen nicht lohnend. Dabei ist BMM eine gute Gelegenheit, mit der örtlichen und regionalen Wirtschaft ins Gespräch zu kommen. Am Ende ist es zwar zunächst vor allem eine kommunale Aufgabe. Die Kommunen müssen dafür geschultes Personal bereit stellen. Und der ÖPNV muß auf die Kommunen zu gehen, dafür geeignetes Material und Schulungen anbieten. Mit dem MDV habe ich einen solchen Prozess initiiert, der MDV hat sich dazu eine BMM-Mobil zulegt, das nun von Betrieb zu Betrieb wandert und auf Betriebsversammlungen die alternativen Mobilitätsoptionen vorstellt und entsprechende Angebote verkauft.

Im Vorfeld ist natürlich ideal, wenn die Liniennetz- und Fahrplanplanung auch angemessen auf die Belange der Betriebe abgestellt werden. Da schließt sich dann der Kreis zum Thema „Nahverkehr von unten“. Oft werden Gewerbegebiete mit wichtigen Betrieben gar nicht bedient, selbst publikumsintensive Kliniken sind vielfach nicht oder nur sehr schlecht angebunden.

Zum BMM gibt es viele grundlegende Publkationen. Leider gibt es bislang keine passende Rahmengesetzgebung wie in den Niederlanden, wo BMM gesetzliche Pflichtaufgabe aller Betriebe mit mehr als 50 Mitarbeitern ist. Aber auch als freiwillige Aufgabe kann BMM wegen der vielen Einsparpotenziale für die Betriebe gut vermarktet werden, wenn es dafür Kümmerer in den Kommunen und bei den Verkehrsunternehmen sowie bei NAH.SH gibt.


Prof. Dr. Heiner Monheim
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Adressaten:
Dr. Andreas Gammel
Dirk Abel
CDU Stadtverband und CDU Gemeinderatsfraktion
Lilienweg 11
72116 Mössingen